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17.09.2021

Vom Flüchtling zur Seenotretterin – Sarah Mardini im Interview

Sarah Mardinis Geschichte ist so ungewöhnlich und bewegend, dass man gar nicht weiß wo man anfangen und wo man aufhören soll. Gemeinsam mit ihrer Schwester Yusra kam sie 2015 als Flüchtling aus Syrien in Lesbos an. Beide waren damals Leistungsschwimmerinnen im syrischen Nationalteam. Das rettete ihnen und 17 anderen Menschen wohl das Leben: Als bei ihrem Schlauchboot der Motor ausfiel, zogen sie das Boot schwimmend Richtung Lesbos. Yusra ist bis heute eine erfolgreiche Schwimmerin und Olympiateilnehmerin, Sarah verletzte sich auf der Flucht und musste den Leistungssport aufgeben.

Nur ein halbes Jahr nach ihrer eigenen Flucht kehrte Sarah nach Lesbos zurück, um ehrenamtlich anderen Geflüchteten zu helfen. Seitdem folgten viele weitere Aufenthalte auf Lesbos. Sie nahm Bootsflüchtlinge in Empfang, kümmerte sich, dolmetschte – und wurde dafür gemeinsam mit anderen Helfer:innen im August 2018 verhaftet und wegen angeblichem Menschenschmuggel, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Spionage angeklagt. Nach mehr als 100 Tagen in Haft wurde Sarah Mardini im Dezember 2018 gegen eine Kaution freigelassen und lebt seitdem wieder in Berlin. Der Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen.

Trotz allem unterstützt Sarah Mardini die Seenotrettung auch weiterhin. Als ehrenamtliche Helferin fuhr Sarah im April 2021 auf unserem Bündnisschiff Sea-Watch 4 mit und war dabei an der Rettung von 456 Menschen beteiligt. Mit uns hat sie darüber gesprochen, was der Einsatz für sie bedeutet hat.

Warum hast du dich dazu entschieden, an Bord der Sea-Watch 4 mitzufahren?

Ich bin der Meinung, dass es niemandem erlaubt sein sollte, einen anderen Menschen im Meer ertrinken zu lassen. Egal wie, egal wo. Ertrinken ist eine der schlimmsten Arten zu sterben, wirklich eine der schlimmsten.

Ich habe mich entschlossen, die Seenotrettung zu unterstützen, weil ich selbst vor sechs Jahren über das Meer nach Griechenland gekommen bin. Außerdem bin ich ausgebildete Such- und Rettungsschwimmerin und liebe das Wasser. Es ist dein Freund, wenn du weißt, wie du mit ihm umgehst.

Du bist für deinen Einsatz für Geflüchtete verhaftet worden und hast mehr als 100 Tage in einem griechischen Gefängnis verbracht. Was war es für ein Gefühl, nach diesem Erlebnis wieder an der Rettung von Geflüchteten beteiligt zu sein?

Bevor Sea-Watch mich gefragt hat, ob ich an der Mission teilnehmen möchte, war ich ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich dazu in der Lage sein würde und hatte auch ein bisschen Angst davor. Ich konnte ja (nach der Haft, Anm. der Red.) nicht mehr zurück nach Griechenland, um dort zu arbeiten.

Die letzten drei Jahre waren nicht leicht für mich. Ich habe ehrenamtlich Menschenleben gerettet, mein Bestes gegeben – und dafür wurde ich festgenommen und habe wirklich schreckliche Dinge erlebt. Da habe ich all mein Vertrauen verloren. Als ich dann auf dem Schiff war, habe ich gemerkt, dass ich immer noch fähig bin, Menschen zu helfen. Ich habe den Glauben an mich zurückgewonnen und daran, dass ich gut in dem war, was ich tat. Als ich das Schiff das erste Mal gesehen habe, hatte ich das Gefühl, mein Herz würde nach langer Zeit wieder anfangen zu schlagen. Ich habe nur gedacht: Oh mein Gott, es ist noch da! Ich hatte meine Identität verloren, und dort auf dem Schiff habe ich sie wieder gefunden.

Was hat dich am meisten beeindruckt und berührt während deines Einsatzes auf der Sea-Watch 4?

Eines der Ereignisse, die mich am meisten beeindruckt haben, war, als einer der Freiwilligen – er heißt Joe und kommt aus Irland, glaube ich – zu mir kam und mich bat, ein Gespräch mit jemandem aus Bangladesch zu führen, weil er anderes zu tun hatte. Ich ging zu der Person und wir haben geredet und geredet. Irgendwann habe ich gemerkt, dass diese Person kein Englisch spricht und habe mich gefragt: Wie konnte Joe ein Gespräch mit ihr führen? Und dann wurde mir klar, dass Joe sich auf eine besondere Art mit Menschen unterhält. Sagen wir mal, jemand redet Bengali und Joe spricht Englisch, dann nimmt er die Körpersprache des Gegenüber auf und antwortet mit seiner eigenen Körpersprache. Und der andere versteht ihn und sie führen tatsächlich ein Gespräch. Das hat er auch mit jemandem gemacht, der nur Arabisch spricht. Das war eines der beeindruckendsten Dinge, die ich je bei einem Menschen gesehen habe.

Was wünschst du dir für die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik?

Ich glaube nicht an das Wünschen, ich glaube an das Tun und Handeln. Und wofür ich wirklich hart arbeite ist, dass die Kriminalisierung von Menschenrechtsaktivist:innen endlich aufhört. Wir engagieren uns so sehr, aber die Gesellschaft sieht nicht viel mehr, als dass wir uns einfach freiwillig engagieren. Dabei ist es viel mehr als das, es beeinflusst unser ganzes Leben.

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