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16.03.2021

Oliver Kulikowski über die Freilassung der Sea-Watch 4

Fünf lange Monate war die Sea-Watch 4 festgesetzt und konnte nicht in den Rettungseinsatz gehen. Am 2. März kam dann endlich die erlösende Nachricht: Die Festsetzung der Sea-Watch 4 wurde aufgehoben und das Schiff kann wieder auf Rettungsmission gehen. Wann das genau geschehen wird und wie es mit dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof weiter geht, hat uns Oliver Kulikowski, Pressesprecher von Sea-Watch, in einem Live-Gespräch erzählt. Die zentralen Aussagen zur Sea-Watch 4 haben wir in diesem Artikel zusammengefasst – wenn du noch einmal das komplette Live-Gespräch hören möchtest, gelangst du hier direkt zur Aufzeichnung.

Die Frage, die uns alle aktuell am meisten beschäftigt – wann kann die Sea-Watch 4 wieder in den Einsatz gehen?

Die Sea-Watch 4 wurde direkt nach ihrer Freilassung nach Burriana in Spanien überführt, wo nun in der Werft einige Arbeiten durchgeführt werden, die durch die lange Festsetzung nötig geworden sind. Parallel dazu sind wir bereits in den letzten Zügen die Crew für den nächsten Einsatz zusammenzustellen. Das ist natürlich durch die Pandemie nicht unbedingt einfacher geworden. Gerade die freiwilligen Aktivist:innen müssen viel Zeit mitbringen, u.a. weil vor und in der Regel auch nach der Mission eine Quarantäne stattfindet und das natürlich schnell den Jahresurlaub frisst. Umso dankbarer sind wir, dass so viele Leute das auf sich nehmen, um mit uns zusammen aufs Mittelmeer zu fahren. Der Anspruch ist natürlich, wie immer, so schnell wie möglich wieder auf Mission zu sein. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch bestmöglich vorbereitet sein – wir sind aber guter Dinge, dass das nicht mehr allzu lange dauern wird bis wir tatsächlich wieder mit der Sea-Watch 4 in See stechen können.

Kannst du noch einmal kurz erklären mit welcher Begründung die Sea-Watch 4 vor fünf Monaten festgesetzt wurde? Wir haben im Kopf: Zu wenig Klos, zu viele Schwimmwesten, war das tatsächlich so?

Ja, so absurd das auch klingen mag, kommt das grob hin. Wir hatten nach dem letzten Einsatz im September 2020 eine Hafenstaatkontrolle – das ist erstmal nichts ungewöhnliches. Diese Kontrollen sollen der Schiffssicherheit dienen, das heißt ein Schiff fährt in den Hafen, der jeweilige Staat, zu dem der Hafen gehört, kontrolliert dieses Schiff und schaut sich an ob alles sicher ist und den Standards entspricht. Was wir und auch viele andere Seenotrettungsorganisationen erleben, ist, dass diese Hafenstaatkontrollen politisch genutzt werden, um Organisationen vom Retten abzuhalten. Bei der Sea-Watch 4 hat diese Hafenstaatkontrolle 11 Stunden gedauert und das Schiff wurde einmal auf links gedreht. Die Gründe, die bei der Kontrolle übrig geblieben sind, sind eben solch absurde Gründe wie zu viele Rettungsmittel an Bord oder dass die Kläranlage nicht ausgelegt ist für alle möglichen Leute, die eventuell gerettet werden könnten. Wenn das jedoch der Maßstab ist, müsste jedes staatliche Rettungsschiff von heute auf morgen aus dem Betrieb genommen werden. Ein weiterer Vorwurf war, dass dieses Schiff nicht als Rettungsschiff registriert ist. Es ist jedoch so, dass es diese Schiffsklasse in Deutschland so gar nicht gibt, das weiß Italien natürlich auch. Unser Flaggenstaat Deutschland hat uns mehrfach die Sicherheit des Schiffes und auch die Korrektheit der Registrierung bestätigt. Es ist also ganz klar, dass das eine politische Motivation hat, die nicht nur uns trifft, sondern auch viele andere Schiffe, die dadurch über Monate vom Retten abgehalten werden – während auf der anderen Seite europäische Staaten ja kaum noch selbst retten.

Ist denn die Freilassung der Sea-Watch 4 nun erstmal nur ein vorläufiger Erfolg oder ein richtiger Sieg?

Wir haben ja beim zuständigen Verwaltungsgericht in Palermo Widerspruch gegen diese Festsetzung eingelegt. Die juristischen Prozesse, die hier im Hintergrund passieren sind sehr komplex, für Laien in der Regel absolut unverständlich und es zieht sich endlos hin. Die Politik nutzt diese Phase gern, um die Verantwortung von sich zu weisen, da es ja nicht mehr in ihrer Hand liegt – obwohl es natürlich weiterhin eine politische Frage bleibt, auch wenn Gerichte unabhängig sind. Die Entscheidung über die Freisetzung wurde immer wieder hinaus gezögert, weil die Richterin den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen hatte – allerdings mit dem Zusatz, dass dieser schnell entscheiden muss, weil sie die Entscheidung über die Freilassung sonst selbst trifft. Da der EuGH entschieden hat kein beschleunigtes Verfahren anzuwenden, hat die Richterin nun beschlossen die Schiffe bis zur endgültigen Verhandlung freizugeben. Diese Freilassung ist also auf jeden Fall ein wichtiger Etappensieg, da die Sea-Watch 4 nun endlich wieder das tun kann, wofür sie da ist – Menschenleben retten.

Welche Szenarien gibt es denn für das Urteil des Europäischen Gerichtshofes? Könnte die zivile Seenotrettung komplett ausgebremst werden oder könnten die Staaten irgendwelche Auflagen bekommen?

Das Verwaltungsgericht in Palermo hat den Fall ja wie gesagt an den EuGH verwiesen und der wird eine Empfehlung aussprechen. Dabei sind zwei Dinge wichtig: Zum einen gibt es ja gerade diese Hafenstaatkontrollen, die politisch instrumentalisiert werden und die Rettungsschiffe mit willkürlichen Begründungen vom Retten abhalten. Das Verwaltungsgericht in Palermo hat dem EuGH auch den Auftrag gegeben mal zu prüfen, ob diese Hafenstaatkontrollen denn überhaupt auf nicht-kommerzielle Schiffe, wie z.B. Rettungsschiffe, angewendet werden können. In der Rechtsprechung, die die Grundlage für diese Kontrollen bildet, gibt es einige Ausnahmen und laut der Richterin in Palermo ist dort klar formuliert, dass dies für kommerzielle Schiffe gilt, für andere aber nicht. Das ist für uns eine sehr zentrale Frage, weil davon ja nicht nur wir, sondern auch viele weitere Schiffe betroffen sind. Das leitet auch direkt über zum zweiten Punkt, der uns wichtig ist. Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass uns immer wieder Steine in den Weg gelegt werden und wir uns auf die Absurdität dieser Vorwürfe einfach gar nicht vorbereiten können. Uns geht es in diesem Verfahren also auch darum, Rechtssicherheit zu haben, und zwar nicht nur für unsere Schiffe, sondern für alle. Solange diese Kontrollen politisch motiviert sind, findet sich immer irgendetwas – dem wollen wir ein Ende setzen und hoffen, dass es mit einem Entscheid des EuGH ein gutes Stück voran geht.

Du möchtest noch mehr Informationen zur aktuellen Lage von Sea-Watch? Dann gelangst du hier zur Aufzeichnung des kompletten Live-Gesprächs.

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